Bericht Friedrich Heinrichs 17.11.1905

Bericht Friedrich Heinrichs an Inspektor Spiecker vom 17.11.1905 – Geburt eines Sohnes; Tod Hendrik Witboois ; mehrere Überfälle mit Toten wegen Verates durch Bethanier; Strafe: Internierung im Konzentrationslage; Vorbereitung der Ankunft Spieckers in Bethanien (dessen zweite Reise)

Bethanien, d, 17.11.1905
Lieber Herr Insp. Past. Spiecker!
Empfangen Sie herzlichen Dank für Ihren l. Brief vom 26. Sept. aus Barmen. Wir danken Ihnen für die Segenswünsche zur Geburt unsres kl. Töchterchens und die Teilnahme am Ergehen meiner l. Frau und Gott Lob und Dank hatte die Geburt einen sehr guten Verlauf genommen. Die Ernährung des kl. Lieblings, wie auch die des zweit jüngsten Kindes, unsers Friedels, dem die Zähne viel zu schaffen machen, ist in dieser Zeit sehr schwer, weil die Muttermilch fehlt und andere jetzt fast kaum zu haben ist. Der Herr hat aber bis jetzt in allen Krankheiten, denn wir waren alle in letzter Zeit krank, wie auch in allen andern Nöten so treu geholfen, dass wir der festen Zuversicht sind, dass Er auch weiter helfen wird. Ehe ich auf Ihre Frage wegen des Hierherkommens antworte, will noch von den letzten Unruhen gleich berichten.
In den letzten Monaten ist es hier recht unruhig gewesen, besonders unruhig aber war es in den letzten 3 Wochen. In der vorigen Woche am Montag wurde ein Regierungswagen mit Hafer p. p. von hier nach /Kara- Khois, auf dem Wege nach Berseba gelegen, abgesandt, der von 4 Bethaniern geführt wurde und 4 Soldaten als Bedeckung mit hatte. Mit diesem Wagen wollten auch 2 beth. Frauen von hier mitfahren, um von /Kara-Khois aus einen Besuch in Berseba zu machen. Hierzu hatten sie auch vom hiesigen Kommandanten schon einige Tage vorher Erlaubnis empfangen. Im letzten Augenblick aber als der Wagen abfahren wollte, blieben sie zurück und sagten: „uns ist zu lange den Weg zu machen.“ Am folgenden Tage, am Dienstag, wurde der Wagen bei Wasserfall überfallen und verbrandt und 2 Soldaten fielen. Hieraus schliesst man, dass sie hiesigen Bethanier von dem Vorhaben des Feindes gewusst haben, umsomehr als die Wagentreiber, einer ein Bruder des hiesigen Kapitäns, nicht hierher zurück gekehrt sind, sondern, wie man vermutet, zum Feind übergegangen sind. Dies hatte zu Folge, dass alle hiesigen Bethanier, soweit sie nicht im Dienst von Weissen sind, gefangengenommen wurden und im Konzentrationslager an der Westseite dieses Platzes bei Tag und Nacht scharf bewacht werden. Das ganze Eigentum der Eingeborenen, ist von der Regierung mit Beschlag belegt, auch das jährl. Einkommen von der Kolonial-Gesellschaft von M. 2000,00, mit Ausnahme von M. 800,00 die, wie beantragt ist, jährlich für die hiesige Schule und Kirche verbleiben sollen. Alle Mietgelder von verpachteten Ländereien, alles lebende Vieh sc und das ganze Land, auch die hies. Gärten der Eingeborenen hat die Regierung an sich genommen. Das ist hart für die Eingeborenen, aber wenn man bedenkt, wie die armen Menschen besonders in letzter Zeit so frech, hochmütig und faul wurden, wie sie in den letzten Wochen fast jeden Abend bis tief in die Nacht hinein Freudentänze hierselbst aufführten, (es sollen fast nur Heiden daran teil genommen haben), trotzdem ich dagegen predigte und bat solch wüstes Treiben zu unterlassen, so muss man doch wohl die strengen Massregeln der Regierung, die sie den bis jetzt treu gebliebenen Bethaniern zu teil werden lässt, als eine gerechte Strafe Gottes erkennen, der doch das Tun unserer Regierung schliesslich nach seinem Willen lenkt. Schade ist, dass mancher Unschuldige mit den Schuldigen leiden muss. Vielleicht werden von den Gefangenen auch noch etwa 80 Personen nach Lüderitzbucht gesandt werden, das mir besonders leid tut. Hoffentlich werden sie dort mit ihnen reden können. Ich habe nun nur noch einige Bastards- und andere Eingeb. Kinder in der Schule. Andere Arbeiten haben sich aber fast verdoppelt, besonders am Sonntag habe ich jetzt mehr Arbeit. Zuerst eine Predigt im Konzentrationslager, dann in der Kirche zunächst holländisch, dann im Khoi-Khoi. Darnach im hies. Lazarett eine Bibelstunde und Nachmittags in der Kirche wieder Gottesdienst für die noch freien Eingeborenen.
Doch ich wollte Ihnen ja noch von den letzten Unruhen hier berichten. An dem Tage, wo der grösste Teil der Eingeborenen hier gefangen genommen wurde, kam der Feind am Abend bis etwa 5 Minuten von meinem Hause heran, wollte sicher noch Eingeborene von hier holen, waren aber nicht mehr in ihren Werften, denn diese standen ja alle leer. Am folgenden Tage wurde ein Farmer und 2 Soldaten etwa ½ Stunde von hier nördl. von Hereros überfallen, wobei Ersterer 500 Schafe verlor, 2 Pferde angeschossen wurden, Menschen kamen heile davon.
Am letzten Samstag früh um ½ 4 Uhr, wurden wieder 2 befracht. Regierungswagen 20 Minuten von hier westlich überfallen, einer verbrandt, Proviant zum Teil verbrandt und z. T. geraubt, 3 Eingeborenen beim Wagen fielen, der Weisse (Ansiedler von hier) rettete sich noch durch Flucht. Seitdem haben wir Ruhe. Verstärkung von Truppen wird Montag hier erwartet. Dieses traurige Bild könnte Ihnen vielleicht den Mut nehmen um hierher zu kommen, aber ich möchte Sie bitten, wenn es Ihnen eben möglich ist, dennoch hierher zu kommen, weil hier Angelegenheiten zu regeln sind, die Ihre Anwesenheit hier an Ort und Stelle je früher desto besser besonders für nötig erscheinen lässt. Es ist hier der Wunsch ausgesprochen, besonders auch von den Herren der Regierung, dass ich, d. h. d. Mission, hier eine kleine Gewerbeschule einrichten möchte, in der junge Eingeborenen Schusterei, Tischlerei, Zimmerhandwerk und Ackerbau lernen sollen und nebenbei für Damra und Hottentotten Mädchen eine Nähe- und Wäscherei einrichten möchte. Die Regierung will dafür der Mission Gartenland schenken. Ich habe zunächst um 2 Hekt. gutes Gartenland, angrenzend an den hiesigen Missionsgarten, gebeten, dass dieses Land nicht verkauft werden möchte, (weil schon 4 Bauplätze hier an Weisse verkauft wurden), bis ich Antwort von der geehrten Deputation in Barmen erhalten hätte, ob sie diesen neuen Plan genehmigen könne und wolle. Denn ich müsste doch für dieses neue Unternehmen wenigstens 1 weissen Mann hier haben, der die Schusterei, Gerberei (Felle von geschlachteten Rindern sc giebt es hier genug, die aber nach europäischem Muster hier gegerbt werden müssen um Leder für die Schusterei herzustellen, wovon auch Schuhe sc gearbeitet werden können, die besser sind als die eingebor. Feldschuhe, die keine Nässe vertragen können) und Tischlerei wie auch das Zimmerhandwerk versteht. Wenn dieses von einem Mann zu viel verlangt ist, dann brauche ich 2 weisse Männer: einen für Schusterei und Gerberei, und einen für Tischlerei und Zimmerei. Vielleicht könnten diese 2 auch etwas helfen beim Ackerbau, wo ich aber selber viel helfen möchte. Sobald der Plan genehmigt ist, bestelle ich gleich eine grössere Anzahl Obstbäume, Saatkartoffel, Weizen und Luzerne. Da wir hier die Bahn bekommen sollen mit Cape-Spurweite, so wird sich mit der Zeit mit Gottes Hülfe ein schöner Erlös für die Anstalt erzielen lassen aus den zu bepflanzenden Ländereien. Das Beste aber bei der neuen Anlage wäre das, dass die Mission auch hier in Deutsch-Süd-West der Welt und Regierung zeigen würde, dass sie nicht nur auf das geistliche Wohl der Eingeborenen bedacht ist, sondern auch für das praktische Leben sorgt. Denn wenn die Welt in letzter Zeit viel über unsre Missionsarbeit geklagt hat, so hat sie nach meiner Meinung doch nicht so ganz unrecht, wenn sie auch Manches hätte etwas feiner ausdrücken können um nicht abstossend zu wirken. Hätten unsere Eingeborenen mehr arbeiten müssen, dann würde das Christentum nicht so oberflächlich bei ihnen sein. Leider war das aber bisher nicht gut möglich, weil die Eingeborenen mit ihrem Vieh zufrieden waren und das brachte ihnen Lebensunterhalt ohne besondere Arbeit ihrerseits. Jetzt ist ihnen alles genommen und sind nun gezwungen zur Arbeit. Freilich müssen die Frauen nun Ziegeln machen und die Männer andere Arbeiten verrichten für die Regierung, aber nach Beendigung des Krieges sollen doch die Eingeborenen hier wie in der Cape-Colony in Locationen wohnen, wo sie dann für sich selber sorgen müssen. Da muss unsre Mission sorgen, dass sie d. Eingeborenen dann ein Handwerk gelehrt haben und noch lernen können und nebenbei einen kleinen Garten halten, die Frau aber einen guten Haushalt zu führen versteht. Das wird dann eine solide Grundlage, worauf ein gesunderes Christentum, wills Gott, in Zukunft gebaut werden kann.
In Sumatra und anderswo sorgt unsre Mission ja auch mehr für das praktische Leben der Eingeborenen, andere Missionsgesellschaften tun desgleichen, warum sollte das nicht auch hier geschehen können? Die geringe Bevölkerung hier im Lande, die bisher verhältnismässigen grossen Kosten für die hiesige Mission darf uns von dem neuen Plan nicht abhalten; einem Volksrest neu aufzuhelfen muss uns hier so gross und wichtig sein, dass alle andern Fragen und Antworten in diesem Falle zurückstehen müssen.
Also l. Herr Inspektor helfen Sie hier, um recht bald Klarheit in dieser neuen Angelegenheit zu bekommen, dass ich der Regierung hier Antwort geben kann, die sehr auf einen Bescheid von unsrer Gesellschaft wartet.
In Windhuk müsste dann das Abtreten des Landes noch genehmigt werden. Ich erwähne noch, dass die Schüler der neuen Anstalt so abgegeben werden sollen, dass während der Zeit in der Anstalt die Eltern und Verwandten keinen Anspruch an ihren Kindern haben sollen, dass sie also nicht fortlaufen können, wenn es ihnen beliebt.
Zu Ihrer Reise von Lüderitzbucht hierher, wenn diese von dort nach hier telegraphisch gemeldet wird (Telegr. Verbindung mit L. Bucht haben wir hier), wird, wenn nötig, Schutz hier in der Nähe gestellt werden. Leider habe ich keine Baiochsen um Ihnen einen Wagen zu senden, Br. Fenchel ist aber in der Lage, damit helfen zu können.
23.11. Gestern kam hier ein privat. Telegramm an, das uns die Nachricht von dem Tode Hendrik Witboois brachte. Er soll vor 4 bis 5 Wochen in Folge einer Verwundung gestorben sein. Ferner wird mitgeteilt, allerdings auch nur erst privatim, dass Samuel Izaak zum Kapitän gewählt worden sei, mit dessen Wahl nicht alle Witboois zufrieden sein sollen und dass dieser mit Klein Hendrik Witbooi auf Berseba mit Kapitän Christian Goliath über Frieden verhandelt haben sollen, weil sie des Kriegführens müde sein sollen. Sie sollen zu viele von ihren Leuten in letzter Zeit durch Wassersnot verloren haben, wie auch ihr Vieh meist verdurstet sein soll, da die Wasserstellen im Osten meist mit Truppen besetzt sind. Das ist ja einmal ein Lichtpunkt in dieser schweren Kriegszeit, wenn Obiges wirklich wahr ist.
Die Izaaker in Berseba, sagte man, sollen auch in letzter Zeit aufständisch geworden sein, hoffentlich beruht das auf Unwahrheit. Der Tod Hendrik Witboois wird aber ein Schlag sein für alle Rebellen hier um Süden, weil alle doch sehr auf ihn sahen und hörten.
Wenn Sie in Lüderitzbucht sind, dann sind Sie wohl so freundlich und erkundigen sich dortselbst bei der Lüderitzbucht-Gesellschaft als die Vertreterin der deutschen Colonial-Gesellschaft für D. S. W. Afrika, nach dem Grundstück, welches Herr Dr. Rohde bei meiner Anwesenheit in Lüderitzbucht im Jahre 1901 mir hinter der Firma Hesselmann oben auf einer schönen Anhöhe für die Rheinische Mission als Bauplatz für Wohnhaus und Kirche anwiess.
Indem ich zu Ihrer Reise und Arbeit wie auch zu Weihnachten und Neujahr Gottes reichsten Segen wünsche, grüsse ich Sie herzlich. Meine Frau lässt auch herzlich grüssen.
Ihr ergebener
F. Heinrichs