Bericht Friedrich Heinrichs 26.06.1906

Bericht Friedrich Heinrichs an den Inspektor vom 26.06.1906

Bethanien, den 26. /VI. 06
Lieber Herr Inspektor!
Ihr geehrtes Schreiben vom 29. Jan. habe ich dankend erhalten, wie auch die Abschrift an Br. Schmolke. An Letzteren habe ich geschrieben und habe ihn gebeten vor der Antwort der diesjährigen Conferenz hierselbst keine näheren Schritte zu tun. Es wäre sehr wahrscheinlich, dass eine Gerberei hier nicht wegen besonderen Schwierigkeiten eingerichtet werden könnte. Mehr Gewicht würde wohl auf Gartenbau hier gelegt werden und habe mir daher Rat über Obst sc gebeten. Unser neuer Distriktschef Herr Leutn. Lieberkühn, Landwirt von Haus aus, ist auch sehr dafür, dass das hiesige Missionsgartenland vergrössert wird und bittet mich erst zu warten bis Herr Gouverneur der sich zum Besuch hier angemeldet habe, dann könne alles besser geregelt werden. Herr Gouverneur habe auch gebeten die Landfrage ruhen zu lassen bis er hier sei. Deshalb kann auch der Eingeborene jetzt noch nicht Sicheres anfangen, weil er noch nicht weiss, was sein und nicht sein Eigentum ist. Der Ordnung wegen haben die Eingeborenen ihre Werften (Pontoks) alle auf einem Stück Land an der Westseite dieses Platzes ganz genau nach Vorschrift, in 5 gerade Linien und alle gleich weit und gross aufbauen müssen. Es stehen dort bis jetzt 39 Pontoks, alle schön hoch und geräumig. Da sie in der Kriegszeit keine neue Matten, die zur Deckung viel schöner aussehen, haben arbeiten können, weil die Binden nur ausserhalb an feuchten Stellen wachsen, so sind die meisten Pontoks mit Sacktuch bedeckt. Die Eingeborenen sind jetzt dabei um einen Brunnen zu graben, gerade dort wo sie jetzt wohnen.
Diejenigen Weissen, welche ihr eingeborenes Personal beim Hause behalten wollten, sind ver- pflichtet worden bis zum 1. Juli für ihre Arbeitsleute steinerne Häuser bei ihrem Hause, auf ihrem Grundstück zu bauen. So sind in Kurzem mehrere steinerne eingeborenen Häuser hier erstanden. Ich muss mich oft wundern, wie sich die Farbigen bald an die Neuordnung gewöhnen können. Das war früher nicht der Fall.
Es ist zu hoffen, dass die Eingeborenen auch wieder ein Stück altes Gartenland zurückbekommen.
Vorige Woche ging unsre freiwillige Gemeindeschwester (ich nenne sie deshalb so, weil sie aus Liebe zum Herrn viele Jahre von Miss. Knudsen und Kreft, an Kranken und Verirrten viel gearbeitet hat) alte Lucia Fredriks selig heim.
Am 24. d. Mts. feierten wir das hl. Abendmahl, woran sich 72 Personen beteiligten.
5 gefangene Frauen, (eine Mutter, 3 Töchter und 1 Schwiegertochter – getauft alle und 3 vollen Gemeindeglieder – haben in den letzten Monaten viel zu leiden gehabt.
Der Mann der Schwiegertochter starb vor dem Aufstand und sie war seitdem bei der Mutter. Der Mann der Mutter ist leider fortgelaufen und s. Z. zum Feind übergegangen (in November 1905). Diese 5 Personen wurden daher besonders festgehalten. Anfänglich im Gefangenenkraal, dann auf Soromas gesetzt um Gras für Pferde zu pflücken. Die Soldaten belästigten sie sehr, aber sie hungerten lieber und liessen sich lieber schlagen, als dass sie das 6 Gebot übertreten sollten. Ich bat um Aenderung, die Soldaten wurden versetzt. Es ging nun Zeit lang besser. Dann kamen sie hier auf den Platz und mussten beim Kasino wohnen in Pontoks, um im Kasino für Reinlichkeit zu sorgen und vor demselben den Platz vom Steingeröll (denn dasselbe steht auf dem Hügelrand) zu säubern. Leider bekamen wir in jener Zeit einen neuen Kommandanten und Oberveterinär. Letzterer plagte die Töchter der oben erwähnten Mutter sehr. Die Klagen wurden immer ärger. Ich bat den Distriktschef und er versprach mir Ordnung zu schaffen. Aber es wurde nicht besser. Der Oberveterinär lockte eine Tochter zur Arbeit ins Kasino, schloss die Tür und wollte nun Gewalt gebrauchen. Nur durch Gewalt und Schreien konnte das Mädchen die Tür ergreifen, öffnen und fortfliehen. Da ich diese Sache gleich erfuhr, ging ich persönlich auch zum Kommandanten, stellte ihm die Sache vor und bat freundlichst, aber dringend um Änderung. Er sprach sein Bedauern über das traurige Vorkommnis aus, besonders auch über die braunen Schlagflecken im Gesicht des Mädchens und die Sache sollte nun sicher besser werden. Aber siehe am folgenden Tage hatte der Mensch (Oberveterinär) die jüngste Tochter vergewal- tigen wollen. Aber auch diese rettete sich durch Schreie aus seiner Gewalt, weil die Mutter das Schreien hörte und ihrer Tochter zur rechten Zeit zur Hülfe eilen konnte. Herr Distriktschef forderte nun vom Kommandanten ernstlich Schutz für die wehrlose Frauen. Zu diesen kamen noch andere Kleinigkeiten, kurz unser Distriktschef meldete obiges. Gestern kam ein Telegramm und heute ist der Herr Kommandant nach Windhuk abgereist. Der Oberveterinär hat seine Stelle vorläufig eingenommen, aber auch er wird hoffentlich bald abdampfen, wenigstens sagte mir Herr Distriktschef so etwas. Was der Kommandant nicht wollte, nämlich die Pontoks oben vom Kasino zu entfernen bis zum 1. Juli und die Frauen bei dem Kapitän, dem neuen Wohnplatz für Eingeborene, wohnen zu lassen, das muss der Oberveterinär bis zum 1. Juli tun oder unser Distriktschef lässt sie, wie er mir sagte, fortholen. Das wird eine Erlösungsstunde für die armen weiblichen Wesen sein. Ist es aber nicht schön, dass die 5 Personen in der entsetzlichen Versuchungszeit so treulich Widerstand geleistet haben?
Da obige Angelegenheit nicht in die Öffentlichkeit so breitgetreten werden möchte, habe ich dieses auch nicht für den Bericht geschrieben. Wir wollen Gott danken, dass ich eine so treue Hülfe an dem Herrn Distriktschef habe und sich die Eingeborenen so treu gezeigt haben. Es ist mehr, dass die Namas sehr wenig Widerstand gegen die Fleischessünde zeigen, aber es geben auch noch Solche, die auch dann ernstlich gegen sündliche Fleischlüste kämpfen, wenn sie mit Gewalt zu dieser schrecklichen Sünde gezwungen werden sollen.
Vor etwa 1 Woche hatten wir hier 24 Stunden lang einen fürchterlichen Sturm, der uns mehrere grosse Dornbäume am Platze umwehte. Auch Pontoks fielen und ein grosses Etappen-Zelt wurde in Stücke zerrissen. So lange ich hier bin hatten wir einen so anhaltenden Sturm nicht. Schlimmer ist es aber auf dem hochgelegenen !Kubub gewesen, wo bei dem Sturm auch noch Regen, Hagel und Schnee gefallen sein soll. 7 eingeborene Leichen hat man im Felde gefunden, die von Kälte gestorben sein sollen. Von 2 Farmern wird mitgeteilt, dass sie über 400 Stück Kleinvieh durch die Kälte verloren haben, die Etappe soll dort über 300 Mauleseln und mehrere Kamele durch Frost und Kälte verloren haben. Wir haben bis jetzt noch jede Nacht Reif und Eis auf stehenden Gewässern. Vielleicht bringt uns der stramme Winter ein gutes Regenjahr, welches wir sehr nötig haben. Das wenige Vieh, dass uns hier übriggeblieben ist, geht uns hier fast durch die Dürre ein. Ich habe nur noch 3 Ochsen und einige Kühe, die aber keine Milch geben. Zudem zeigt sich überall die Lungenseuche. Kürzlich liess ich ein lungenkrankes Kalb schlachten. Weil wir schon lange kein Fleisch mehr gegessen hatten, liessen wir uns auch ein Stück braten, d. h. meine l. Frau machte den Braten selbst. Mit Todesverachtung assen wir, aber bekamen einen solchen Ekel, dass wir kein Fleisch weiter anrührten. Unsre Eingeborenen assen, ausser den kranken Teilen, alles.
Noch einige Aufzeichnungen, die zeigen, wie das Leben jetzt so sehr teuer hier ist. 100 M Reis: M. 150,00; 100 M Mehl: M. 100,00 bis 150,00; 1 M Zucker: M. 2,50-3,00; 1 Kl. Butter 6,00 bis 8,00 sc. Das sind die Store-Preise. Da die Stores jetzt wieder Proviant haben und bekommen, so darf uns das Distriktsamt nichts mehr verkaufen, das doch immer ein gut Teil billiger war. Für uns ist das Leben schon so teuer, wo wir jetzt alles hier kaufen müssen, da die Ochsen für den Baiweg fehlen und alle 14 Tage mit unsren Arbeitsleuten 100 M Mehl verbrauchen und jede Monat 100 M Reis; wieviel teurer ist das jetzige Leben für die Eingeborenen, die sehr wenig verdienen. Doch leben sie, wenn auch mancher oft lange hungern muss. Die Uebergangszeit ist ja auch noch nicht vorbei. Wir hoffen aber, dass Gott uns auch wieder angemehrere Zeit schenken wird.
Wollen Sie bitte die geehrte Deputation herzlich grüssen.
Mit herzlichen Gruss Ihr ergebener
F. Heinrichs