Bericht Friedrich Heinrichs 03.01.1906

Bericht Friedrich Heinrichs an die Deputation vom 03.01.1906

Bethanien, den 3. Januar 1906
In dem Herrn geliebte Väter!
Wenn ich heute noch einmal auf das verflossene Jahr mit Hinblick auf diese Gemeinde zurück blicke, so kann ich das einerseits nur mit tiefer Wehmut tun. Musste es den sein, dass fast der ganze Stamm und die ganze Gemeinde in die Wirren des Krieges mit hinein gezogen werden musste und unter dem Druck des Krieges so leiden muss, wie es heute vor allen Augen offenbar ist? Würde man vor dem Ausbruch des Aufstandes etwas vorsichtiger gewesen sein mit den Aussagen über das, was mit dem Lande und seinen Eingeborenen in Zukunft geschehen soll, so würde vielleicht der Krieg hier im Namalande nicht entbrandt sein oder doch vielleicht nicht solche Dimensionen angenommen haben, wie er leider zum Schrecken Vieler nun thatsächlich angenommen hat. Man hätte vielleicht für die Anektion des Landes, wenn eine solche nun einmal ausgeführt werden sollte und musste, auch einen friedlicheren Weg ausfinden können. Durch die Art und Weise wie es aber geschehen ist, sind die Gemüter der Eingeborenen zu frühzeitig erbittert worden. Die Folge davon war: Rache und das Suchen nach Selbsthülfe und Befreiung vom fremden Joch. In dieser ganz unchristlichen und unbiblischen Meinung kam ihnen der falsche Prophet Stuurmann und vielleicht auch noch andere böse Verführer zur Hülfe, die sie in ihren Vorhaben heimlich stärkten. Der himmlische Führer Jesus wurde dann von ihnen in dieser Notzeit mehr und mehr in den Hintergrund gedrückt, trotzdem ihre Seelsorger sie unaufhörlich auf die grosse Gefahr der Selbsthülfe hinwiesen und sie baten zu dem ihre Zuflucht zu nehmen, der durch seinen Knecht Asaph ihnen zuruft: „rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten!“ der hier verbliebene Rest dieses Stammes musste natürlich seit dem Beginn des Aufstandes manche bittere Pille schlucken, weil das Vertrauen der Regierung zu ihm nicht mehr wie früher war und im Laufe des Jahres noch immer mehr verschwand, da der eine und andere Eingeborene von hier zum Feind überging. Es kann hier zur Entschuldigung der treu gebliebenen Bethanier vielleicht hervorgehoben werden, dass sie Söhne, Töchter und andere Verwandte bei dem Feind haben und es ihnen oft schwer fiel stets aufrichtige, treue Dienste der deutschen Regierung zu leisten, die direkt zum Schaden des Feindes gewesen gewesen wären, obwohl es für sie ohne Zweifel besser gewesen wäre, wenn sie auch in dieser schweren Kriegszeit stets treu und gewissenhaft sich der deutschen Regierung nützlich erwiesen hätten. Es wurde schon von den Herren Beamten davon gesprochen, dass der hier verbliebene Rest Bethanier für seine Treue belohnt werden müsste. Aber so weit sieht der Hottentott nicht, die Zukunft ist für ihn im mancher Beziehung nicht da, er begnügt sich leider nur mit der Gegenwart. Im inneren Streit und beim Schmieden unheimlicher Pläne im Stillen suchten viele Eingeborene schliesslich Kraft und Trost im Verderben bringenden Trank alkoholischer Getränke, die zeitweise im verflossenen Jahre in Mengen hieher geschafft wurden. Mehr wie einmal kam der Kapitän Paul Fredriks betrunken zu mir und schüttete dann sein Herz aus indem er klagte über die Ungerechtigkeiten, die er mit seinen Leuten erdulden müsste; wie die eingeborenen Frauen und Mädchen vor den leichten Soldaten nicht mehr sicher seien und anderes mehr. Es gab eine Zeit, wo allerdings das weibliche Geschlecht sehr belästigt wurde trotz strengen Verbotes; anderseits geben es auch noch immer genug lose Dirnen, welche den Soldaten nach laufen. Zweimal sprach Kapitän Paul im Trunk das schreckliche Wort aus: „wenn Gott mich nicht zurück halten würde, dann würde ich lieber heute als Morgen meine Frau und Kinder und dann mich selber erschiessen, denn ich kann die Ungerechtigkeiten nicht mehr ertragen.“ Worin die Ungerechtigkeiten eigentlich alle bestehen, habe ich nicht recht erfahren können. Meine Ermahnungen in solchen Augenblicken halfen natürlich nichts, fanden vielmehr meistens Widerspruch. In seinem nüchteren Zustand wiess ich ihn dann umsomehr auf sein Unrecht und Den hin, der ihm allein wirklich helfen könne und wolle, wenn er nur wandle und lebe nach Gottes Wort. Aber schliesslich wich er mir ganz aus dem Wege und blieb auch den Gottesdiensten fern. Dies dauerte etwa 2 Monate lang, bis er sich seit etwa 3 Wochen wieder nährte und auch den Gottesdienst wieder regelmässig besucht. Ob diese Veränderung nun dadurch hervorgerufen wurde, weil es seit Wochen kein Alkohol mehr zu kaufen giebt, oder er auf das Bitten mehrerer Gemeindeglieder gehört hat, oder ob es das Drohen des Distriktschef gewesen, dem unvorsichtige Äusserungen des Kapitäns in seinem betrunkenen Zustand zu Ohren gekommen waren, oder ob eine höhere Macht in seinem Inneren wirkt, das alles vermag ich heute nicht zu sagen, sein weiterer Wandel muss es uns bezeugen. Meist still und mehr in sich gekehrt geht er nun seinen Weg. Möchte er der rettenden Hand unsres Heilands nicht widerstreben.
Die Verbitterung unter den hier wohnenden Eingeborenen nahm noch mehr zu, als alle, die noch frei waren, d. h. welche nicht im Dienst von Weissen sind, in Monat November, den 7. desselbigen Monats, wie ich näher hierüber in meinem letzten Bericht schrieb, gefangen genommen wurden und im Konzentrationslager bei guter Verpflegung stets bewacht wurden. Der Kapitän mit Familie wie auch der Unterkapitän mit seinen Angehörigen sind aber frei geblieben, nur müssen sie in der Nähe der Wache wohnen. Leider wurden die Gefangenen am hiesigen Weihnachtsabend, kurz nach dem Gottesdienst und Bescherung am Nachmittage in ihrem Lager unter freiem Himmel, wobei die Vereinssachen ihre gute Verwendung fanden, wieder aus einander gerissen, nachdem schon vorher einige Frauen und Mädchen nach /Umud, dem Truppenviehposten und !Kubub abgeführt worden waren. Die letzten Frauen und Mädchen mussten in der hl. Weihnachtsnacht nach Soromas, dem dortigen Etappenposten maschieren, nicht einmal die Alten durften hier bleiben, sogar der lahme Fredrik Dãub wurde auf dem Wagen mitgenommen. Die Etappe war gewissermassen zu diesem schweren Schritt gezwungen, weil der Proviant für Menschen und der Hafer für Pferde fast verbraucht ist und hier, wenn auch noch nicht gerade Hungersnot, so doch grosse Lebensnot herrscht. Das glauben aber die Gefangenen kaum. Das weibliche Geschlecht auf den beiden Aussenstationen /Umub und Soromas müssen Gras pflücken für die Truppenpferde. Nur einige Männer und Jünglinge sind hier geblieben für hiesige Etappenbauarbeiten. So sind nun, die Rebellen nicht mitgerechnet, die Bethanier in Berseba, Keetmanshoop, Lüderitzbucht, /Umub, Somoras, hier und einige in Klein-Namaland. Die Zersplitterung der einzelnen Familien schmerzt die Leute sehr und verbittert sie noch mehr. Eine Frau kam am heiligen Abend kurz vor ihrer Abführung noch eilig zu mir gelaufen und klagte mir unter Tränen ihre Not und bat mich für sie ein gutes Wort bei der Etappe und Polizei zu reden, damit sie mit ihrem Mann und Kindern doch zusammen bleiben könnte. „Warum muss ich,“ sagte sie, „auch dieses noch leiden?, Bin ich doch nie vom Platz fortgegangen, habe keine Verbindungen mit dem Feind gehabt, trotzdem ist mir und meinen Kindern Vieh und Garten fortgenommen und nun sollen wir auch noch auseinander gerissen werden! Wo soll ich Trost finden und wer soll uns draussen Gottes Wort verkündigen?“ Leider konnte ihr Wunsch nicht erfüllt werden, ihr Mann Jakob Fredriks und ihr 12 jähriger Sohn bleiben hier und sie musste fort. Das ist hart für die trauernden Eltern und Sohn, wie auch für ihren Seelsorger. Manche leiden von den Gefangenen wohl unschuldig.
Ich frage mich oft: musste all dies Elend noch zu dem Krieg kommen, konnte der Herr die kleine übrig gebliebene Schaar nicht vor dem vielen äusseren wie inneren Elend und Schmerz bewahren? Ja, Er konnte es, denn Sein Arm ist nicht zu kurz und Seine Macht nicht kleiner geworden um einen Jeden zu bewahren vor Gefahren und zu retten aus allem Elend. Aber ist es nicht die weise Hand Gottes, die die Gemeinde deshalb in den Schmelzofen geführt um sie zu läutern und zu reinigen, um die geistlich Toten aufzuwecken, die Unbussfertigen zur Busse zu rufen und um den entsetzlichen Hochmut bei so vielen Eingeborenen zu brechen. Er wolle in Gnaden helfen, dass auch die lebendigen Christen aus dieser schweren Prüfungszeit geläutert hervorgehen und sie sich in derselben im Glauben fester an den Herrn anschliessen.
Wir freuen uns, dass die geehrte Deputation nun endlich Lüderitzbucht auch mit einem Missionar besetzt hat, so werden doch die dortigen Gefangenen auch geistlich versorgt, denn Gotteswort tut ihnen in dieser Zeit not. Da es hier rund um Bethanien bis in die nächste Nähe noch immer sehr unsicher ist, kann ich die Aussenplätze noch nicht besuchen; Pferd habe ich nicht mehr, weil das Letzte geraubt ist und sonst es möglich zu machen geht leider vorläufig noch nicht.
Die äussere Lebensfrage für die Gefangenen hier als auch für die, welche nach dem Kriege wieder hieher zurück kehren sollen, wird uns in diesem neuen Jahre viel und oft beschäftigen. Augenblicklich ruht und stockt fast alle äussere Arbeit, weil die Arbeiter fehlen, obwohl solche hier sind, die gerne welche haben möchten. Die Arbeiter, welche noch hier sind, wurden fast ausschliesslich von der Etappe und Polizei in Anspruch genommen und die weissen Bewohner halten ihre Dienstboten auch so viel als möglich fest. Nach dem Kriege wird aber wohl Manches in Angriff genommen, sodass wohl eine Anzahl Eingeborene dann ihr Brot verdienen können. Auch wird ja nun endlich die Bahn gebaut und zwar wie hier mitgeteilt wird, soll sie nach Aussage des Geologen Dr. Lotz über Bethanien nach Gibeon gebaut und von hier nach Keetmanshoop eine Zweigbahn gelegt werden. Andere behaupten, dass die Bahn von Lüderitzbucht über hier nur nach Keetmanshoop gebaut würde. Dieser Bau wird vielleicht auch manchen Eingeborenen beschäftigen. Aber werden nicht dennoch Manche von ihnen arbeitslos bleiben? Auch sind nicht alle fähig um solche Arbeiten zu verrichten. Vieh, Gartenland und sonstiges Eigentum ist den gefangenen Eingeborenen von der Regierung genommen oder von den Rebellen geraubt. Wovon sollen sie später leben? Man denkt stark an Einrichtungen von Lokation, ähnlich wie in der Cape-Colony. Wie sollen sich an solchem Ort, den besten Platz wird man ihnen vielleicht auch nicht anweisen, die Eingeborenen redlich ernähren? Wäre die Ausführung des in meinem letzten Bericht mitgeteilten Planes von der Einrichtung einer Gewerbeschule für junge Eingeborene jetzt nicht ganz am Platz? Der Ankauf von Gartenland ist jetzt noch verhältnismässig preiswert, aber es wird nicht lange dauern, dann wird der Preis steigen. Ich glaube aber, dass die Regierung für den obigen Zweck auch etwas Land schenken wird.
Die Schule musste leider seit Kurzem ausgesetzt werden, nachdem auch die Schulkinder zum Teil mit fort ziehen mussten nach den Aussenplätzen. Auch fehlt es an einem Schulraum, da die Etappe der Hitze und des kommenden Regens wegen alle hierfür verfügbaren Räume mit Mannschaften besetzt, sonst könnte ich noch mit Bastard- und einigen andern Kindern Schule halten.
Am 1. Advendsonntag taufte ich 3 erwachsene Bastards und 2 Damras wurden konfirmiert, nachdem sie vor der Gemeinde im Gotteshause am Sonntag vorher ihre Prüfung bestanden hatten. Die eingeborenen Gottesdienste werden durchschnittlich noch von 100 bis 150 Personen besucht. Die deutschen Gottesdienste sind bald stark und bald schwach besucht, je nachder Anzahl Mannschaften, die hier verweilen. Im Lazarett findet jeden Sonntag eine Bibelstunde statt.
Mit dem Konfirmanden- und Taufunterricht muss ich noch etwas warten, weil die, welche den Unterricht besuchen möchten, noch zu sehr von der Etappe in Anspruch genommen werden.
Zu der schon gemeldeten Aufnahme am 1. Advent muss ich noch hinzufügen, dass ich am Sonntag vorher einen alten Heiden auf seinem Krankenlager im Konzentrationslager nach vorher gehendem Unterricht taufte, der dann nach 5 Tagen im Glauben an Jesum Christum heimging. Schon lange wollte dieser alte gebrechliche Mann den Taufunterricht besuchen, fand aber wegen Armut nie Möglichkeit so lange Zeit hier auf dem Platz zu wohnen bis ihn die Unruhen endlich hier auf den Platz trieben, wo er denn krank wurde und nicht wieder genesen sollte.
Seit Abgang meines letzten Berichtes hat noch öfters ein Ueberfall hier ganz in der Nähe statt gefunden, hauptsächlich hatte es der Feind auf die Proviantwagen der Regierung abgesehen, wovon auch mehrere von ihm geplündert und verbrandt wurden. Jetzt nachdem die Etappe das weibliche Geschlecht aus dem Konzentrationslager auf die Aussenstationen gesandt hat, versucht es der Feind die Frauen und Kinder zu rauben. Vorige Woche wurden bei /Umub mehrere von ihnen im Grasfelde beim Graspflücken und ebenfalls auf Soromas auch mehrere Frauen und Kinder während derselben Arbeit vom Feind geraubt. Heute Morgen (es ist heute der 5. Januar, wo ich diesen Nachsatz mache) wurde eine kleine Patrouille etwa ¼ Stunde von hier vom Feind angeschossen. Hoffentlich werden die Räuberbanden bald ihre Macht verlieren. Unser sehnlichster Wunsch ist, dass dieses neue Jahr uns in nicht all zu weiter Ferne den Frieden bringen möchte. Wollen auch Sie nicht müde werden dem Herrn unserm Gott diese Bitte immer wieder vor zu tragen.
Mit herzlichem Gruss Ihr ergebener Sendbote
F. Heinrichs