17.10.1904 Bericht Friedrich Heinrichs

Bethanien, den 17. October 1904
In dem Herrn geliebte Väter!
Heute empfing ich von Br. Hegner die Nachricht, dass unsre brüderliche Besprechung am 20. d. Mts. in Keetmanshoop des traurigen Aufstandes der Witkams und der !Goxaser wegen aufgehoben sei. Welch ein Elend haben sie beiden rebellischen Stämme in so kurzer Zeit in ihren Bezirken über manche weisse Familie gebracht! Wie ein plötzlich aufloderndes Feuer sollen alle Farmer und wo die weissen Männer ausserhalb der Feste sich immer befanden, ermordet sein. Unter diesen ist auch Herr Bezirksamtmann v. Burgsdorff, der den Witkams und den Eingeborenen überhaupt doch so hold war, man möchte sagen: ihnen zu viel ihren Willen erfüllte, was fast durchweg der Farbige nicht vertragen kann, d. h., er wird dann leicht frech, anmassend und hochmütig. Mit Herrn v. Burgsdorff zusammen ist auch unser Bruder. Holzapfel gefallen. Die arme Schwester mit ihren kleinen Kindern!
Das hat hier unter den weissen Ansiedlern grossen Schrecken erweckt und sie sagen: „Wenn die Eingeborenen jetzt auch die Missionare nicht mehr schonen, dann muss ihre Mordlust schrecklich sein.“ Mit nervöser Spannung warten wir hier alle Tage auf Nachricht ob nicht bald den Bedrängten in Gibeon und !Goxas Hülfe vom Norden komme. Die südlichen Truppen am //Kharas-Gebirge können leider der aufständischen Bondels von dort noch nicht loskommen. Gleichfalls glaubt man hier allgemein, Weisse wie Eingeborene, dass Hendrik Witbooi eine Abteilung über Grootfontein oder irgendwo von der nördlichen Richtung her senden werde um hier auf den Farmen zu rauben und vielleicht auch den Baiweg abzuschneiden. Deshalb sind auch schon eine Anzahl Farmer mit ihrem Viehbestand hier auf die Station gezogen und die Übrigen sind auf dem Wege hierher. Die Polizeistation wird dadurch bedeutend verstärkt. Unser Distriktschef Herr Oberl. Wasserfall hat hier alles für einen Kampf wohl geordnet, sodass wir getrost in Gottes Namen auf den Feind warten können. – Auch !Kebeb, die erste Polizeistation von der Bai aus, ist bis auf 25 waffenfähige Männer verstärkt worden. Weitere Verstärkung wird von Lüderitzbucht aus erwartet.
Unser Kapitän Paul Fredriks hat mit seinem Stamm, soweit er noch zusammen ist, in einem Schreiben an das Bezirksamt fest versprochen, Sr. Majestät unserm deutschen Kaiser treu zu bleiben und dasselbe hat Berseba und /Khoes auch getan. Diese 3 Stämme haben die schriftliche Aufforderung von Hendrik Witbooi zum Kampf wider alle Weisse ernstlich zurück gewiesen. Das ist eine Freude für uns inmitten der gegenwärtigen kritischen Lage. Ist doch dadurch, dass die 3 Kapitäne der 3 genannten Stämme die Witbooische Aufforderung zum allgemeinen Kampf wider die Weissen zurückgewiesen haben, unsre Situation zu einer erträglichen geworden, wenn sie auch sehr nervös unruhig ist. Wie würde es auch hier aussehen, wo wir doch nur eine kleine Besatzung hier haben, wenn auch dieser Stamm sich Hendrik Witbooi angeschlossen hätte! Der Herr gebe, dass die bis jetzt treu gebliebenen Stämme auch dann treu bleiben, wenn Henrik Witbooi weiteren Erfolg haben sollte. Das ist aber wohl kaum anzunehmen, denn nach einem heute hier eingelaufenen Telegramm soll die Besatzung auf Gibeon vielleicht heute schon vom Norden Hülfe bekommen.
18. October. Heute brachte hier ein Eingeborener uns darnach auch einige weisse Ansiedler die mündliche Nachricht, dass ein Teil der Witkams auf die Farm von Jonny Annis auf !Hin-dãns gekommen sei. Diese Farm liegt etwas nördlich von //Aruab, wo die Bastards wohnen. Nach dieser Botschaft könnte es möglich sein, dass die Mörder auch bald hier erscheinen. Die Bastards sind vom Kapitän aufgefordert hierher zu ziehen. Gefährlich wäre es, wenn die Witkams einem Gibeoner Boeren, der in dieser sich zwischen hier uns Grootfontein befindet, seine Wagen abnehmen können, wovon 2 Wagen mit Munition für Gibeon beladen sein sollen.
Im vorigen Monat September habe ich meine letzte Predigtreise in den nördlichen Distrikt meiner Gemeinde gemacht. Auf allen grösseren Werften, deren ich 5 fand an ziemlich weit auseinander gelegenen Ortschaften, hielt ich einmal oder zweimal Gottesdienst. Eine Ausnahme machte ich auf der einen Werft an dem schönen und hohen Berge //Aruab. Hier haben sich meine früheren Gootfonteiner Bastards Anfang August dieses Jahres angesammelt, weil der hiesige Kapitän Paul Fredriks ihnen diesen Platz, der etwa 4 Reitstunden von ≠Kujas und !Gõais liegt, angewiesen hat. Das gegenseitige Wiedersehen war eine grosse Freude. War es auch seit ihrer Gefangenschaft durch viel äussere und innere Not hindurch gegangen, so konnte doch fast jeder rührend bezeugen: „Grösser als der Helfer, war die Not ja nicht!“ Mancher von ihnen sagte mir: „Ich hatte die Züchtigung verdient, denn der Herr hat mir in derselben gezeigt, dass ich mich noch nicht ganz an den Herrn abgegeben hatte, während ich jetzt die feste Überzeugung habe, erlöst zu sein von meinen Sünden durch des Lammes Blut. Früher glaubte ich ein Kind Gottes zu sein, doch es war nur Einbildung von mir. – Schwer war es für uns, an jenem denkwürdigen Tage der Gefangenschaft auf Grootfontein, unser und unserer Kinder Gross- und Kleinvieh wie auch Pferde sämtlich forttreiben zu sehen und von Allem, was wir sonst besassen an Haus, Wagen, Gartenland und anderes mehr plötzlich entblösst zu sein. Aber wir fühlten, je länger desto mehr, die erziehende Macht Gottes, die uns frei machen wollte von irdischem Besitz, damit wir lernen möchten unsere Herzen nicht an irgend welchem vergänglichen Gut zu hängen, sondern nur und allein an Jesum Christum unsern Herrn.“ – Mit tiefem Weh nahm ich wahr, dass die alte Maria Zwart, die Frau des damals gefallenen Kapitän Nicol. Zwart, von ihrem Hochmut leider noch nicht befreit war. Die Kreuzesschule hatte ihr nicht viel genützt. Möchte es dem Herrn gelingen auch diese feste Burg zu überwinden. – In der kurzen Zeit ihres Dortseins hatten sie schon eine Buschhalle gebaut, worin alle Bastards und auch einige Hottentotten Raum fanden für Gottesdienste. Die neu herzugezogenen Bastards sind…
1. November. Mit der letzten Post konnte ich meinen Bericht der Unruhen wegen nicht fertig machen. Doch hoffe ich denselben mit der jetzigen Post am 8. oder 9. dieses Monats absenden zu können, und zwar diesmal über Lüderitzbucht, weil die Verbindung mit Berseba oder Keetmanshoop sehr unsicher sein soll. Ich werde Br. Hegner mit der ersten sicheren Gelegenheit den Inhalt dieses Schreibens mitteilen.
Gestern vor 8 Tagen, am 24. October Abends nach Sonnenuntergang kam Herr Zäh hier auf die Polizeistation in Eile geritten und brachte die sehr traurige Nachricht, dass diesseits ≠Kujas, wo der Weg im Gebirge durch eine enge Pforte führt, die von hier ausgesandte Patrouille abgeschossen sei, und er selbst bis hier in der Nähe vom Feind verfolgt, aber glücklich der Mörderhand entkommen sei. Gleichzeitig bekam Kapitän Paul Fredriks durch seinen jungen Bruder Ernst briefliche und mündliche Nachricht, dass alle von hier aus nördlich wohnenden Bethanier sich den aufständischen Witboois angeschlossen, und sie sich von ihm und der deutschen Regierung los getrennt hätten. Er, der Kapitän Paul Fredriks, wird in dem Schreiben eines Bethaniers aufgefordert, auch gegen die deutsche Regierung aufzustehen und sein Land zu retten. Mündlich lautet es dann weiter, wenn Kapitän Paul Fredriks sich weigere, so würden sie ihn und seine Anhänger als ihre Feinde behandeln, ihn selbst aber in Stücke auseinander kappen. Kapitän Paul Fredriks ist sehr zornig über seine untreuen Unterthanen und will mit der deutschen Regierung gegen sie kämpfen. Auch er hält mit seinen Leuten bei Tag und Nacht Wache. Der kleine Bruder des Kapitäns, welcher eine Mutter zu ihrer kranken Tochter zu Pferd hinausbegleitete, traf die Verfolger des Herrn Zäh und empfing von ihnen den oben erwähnten Brief, worauf er eilend heim ritt. Beide, Herr Zäh sowohl wie Ernst Fredriks berichteten, dass die aufständischen Bethanier mit Witboois zusammen morgen früh Bethanien schiessen wollen. Daraufhin wurden alle Ansiedler mit ihren Kindern, welche schon nach Ausbruch des schrecklichen Aufstandes im Gibeoner Bezirk alle gleich auf den Ruf des Herrn Oberl. Wasserfall hier auf die Station mit ihren Herden flüchteten, und auch wir, noch an demselben Abend auf die Polizeistation in Sicherheit gebracht, wo wir uns noch heute befinden; und werden nicht ehe frei kommen, bis unser Kommandant, Herr Oberleutnant Wasserfall, – der für seine Schützlinge sehr besorgt ist und in jeder Weise für einen angenehmen Aufenthalt sorgt -, soweit ein solcher unter den gegenwärtigen Umständen möglich ist, hier Sorge trägt, – es für vollständig sicher hält und wir vom Feind nichts mehr zu fürchten haben. Für diese väterliche Fürsorge sei unserm Herrn Oberleutnant Wasserfall auch hier an dieser Stelle herzlich gedankt.
Zwei Tage nach dem schändlichen Überfall der Patrouille kamen auch der hiesige Unterkapitän Samuel Fredriks und ein eingeborener Polizist zu Fuss als Flüchtlinge zurück, welche die Patrouille begleitet hatten. Diese haben ihre Pferde bei dem Ueberfall verloren und die versteckten Feinde aus einem Versteck bis zum Dunkelwerden beschossen und sind dann geflohen. Gefallen sind Herr Rabe, der sich gerade ansiedeln wollte, und 3 Soldaten von der hiesigen Polizeistation. Ein Schwarzer soll von ≠Ansis der Patrouille vorausgeeilt sein und den Aufständischen von der Ankunft derselben berichtet haben, sodass diese sich den unwissenden Soldaten vorlegen konnten. Auf einer Patrouille im vorigen Jahre wurde der gutmütige und freundliche Herr Rabe von den jetzt aufrührischen Bethaniern im Norden so freundlich aufgenommen, sodass er nicht glauben konnte, dass wir von ihnen etwas zu fürchten hatten. Als er diesmal vor seinem Ritt noch bei uns war und sich verabschiedete, sagte er noch: „Ich bin nicht bange, mir tut niemand etwas Böses.“
Die Bethanier, welche bisher von hier aus nördlich wohnten, ist der grösste Teil meiner Gemeinde, weshalb ich auch dorthin meine meisten Predigtreisen gemacht habe. Die Eingeborenen, welche von hier aus östlich, südlich, westlich und hier auf der Station wohnen, ist der kleinste Teil, welcher dem Kapitän und der Regierung treu bleiben wollen. Die nördlich wohnenden untreuen Bethanier sollen sich mit ihren Familien, wie wir heute den 7. November sicher erfahren, immer weiter nordöstlich zurück ziehen, in Gibeoner Gebiet. Hoffentlich werden sie die Bastards am //Aruaber Berg in Ruhe gelassen haben und diese nicht mit Gewalt in ihr böses Tun hinein gezogen. Das würde mir sehr schmerzlich sein. Leider hören wir nichts Gewisses von ihnen, kein Bote kommt von dort.
Einige Bethanier im nördlichen Bezirk meiner Gemeinde, besonders die Kovikes Familien, welche vor etwa 20 bis 23 Jahren von !Hoaxa-!nas hierher gezogen sind, galten schon immer als verdächtige Personen. Sie waren niemals recht zufrieden mit unserm Kapitän Paul Fredriks, weil er ihnen zu deutsch-freundlich war; ein anderer Grund ist der, dass er jünger ist als einige Glieder der genannten Familie. Ein anderer unzufriedener Geist ist des Kapitäns Neffe und Schwiegersohn des Gibeoner Kapt. Hendrik Witbooi, er heisst: Cornelius Fredriks, der nach dem Tode von Kapitän Josef Fredriks, Vater vom jetzigen Kapit. Paul Fredriks stets nach der Kapitänschaft getrachtet hat. Kurz vor dem Ueberfall der Patrouille war Kapitän Paul noch im Norden bei den Aufständischen und bat sie alle, sich den aufständischen Witboois nicht anzuschliessen und gab Befehl, alle nach Bethanien zu ziehen, was ihm auch versprochen wurde, aber wie man es jetzt sieht nur mit dem Munde. Kapitän Paul Fredriks lässt seine ihm treu gebliebenen Männer jede Nacht in den von ihm erbauten Schanzen an der östlichen und nördlichen Seite unseres Platzes Wache stehen, weil auf der westlichen Seite die Polizeistation steht. Letztere hat von jetzt ab hier und auch im Umkreise von einigen Stunden Wache stehen. Am Sonnabend kam von Lüderitzbucht aus eine Verstärkung von 50 Soldaten hier an. So glaube ich kaum, dass wir noch etwas zu fürchten haben. Trotzdem hält uns Herr Oberleut. Wasserfall noch immer auf der Feste fest, nur dass uns am Tage die Erlaubnis zu Teil geworden ist in unser Heim zu gehen, was uns sehr lieb ist, besonders in dieser heissen Zeit. An den beiden letzten Sonntagen hielt ich am Vormittag den Eingeborenen Gottesdienst und am Nachmittag bei der Feste Feldgottesdienste, letztere natürlich in deutscher Sprache. Konfirmandenunterricht werde ich von Morgen ab wieder halten, dagegen musste die Schule in dieser unruhigen Zeit bis jetzt leider noch ausfallen.
Kapitän Paul mit seinen Leuten hier haben in der letzten Woche ihren Weizen eingeerntet. Heute ist das letzte Weizenstück abgeschnitten. Leider ist die weitere Aussaat dahin und an weiter Säen ist nun vorerst nicht zu denken, weil die vielen 1000 Stück Kleinvieh und die grosse Menge Rinder und Pferde unser Wasser brauchen und die Eingeborenen das Vieh nicht aus ihren Gärten halten können. Das ist aber auch nicht so gefährlich, die Hauptsache ist nun, erst alles Vieh der Weissen und Eingeborenen soviel als möglich zu schützen und Ruhe und Ordnung wieder herzustellen.-
8. November. In der letzten Nacht wurden wir hier auf der Feste von Kapit. Paul Fredriks aufgeweckt. Er brachte einen Brief von Cornelius Fredriks, der durch ein Damra überbracht wurde, worin Kapit. Paul wieder aufgefordert wurde gegen die Regierung aufzustehen. Er solle ihm gleich mitteilen, was er zu tun gedenke. Er hat ihm geantwortet, dass er ihn als sein Feind betrachte, nicht Krieg führen werde gegen unsre deutsche Regierung, die Rebellen sitzen auf einmal wieder eine Stunde von hier, auf /Umub, dem Truppenposten. Eben um 8 Uhr ist der erste Trupp Soldaten hinausgeritten, der zweite Trupp reitet jetzt ½ Stunde später um den Feind draussen anzugreifen.
Die Post soll jetzt abgesandt werden, so muss ich schliessen. Gerne hätte ich ein Rundschreiben an meine Eltern und Verwandten abgesandt. Habe aber leider keine Zeit mehr dazu, weil die Post ein Tag früher wie sonst abgeht. Darf ich bitten den Eltern in Bonn – Pappaelsdorf: Past. Goebel, den Eltern in Barmen: C. Brandt Albertstr. N. 11 und Herrn Past. Platzhoff in Schwelm (damit dieser meinen Geschwistern dort Mitteilung von uns machen kann) aus diesem Bericht Mitteilung zu machen, wenn er ihnen nicht ganz vorgelegt werden kann. Denn der Stoff ist wohl so viel, dass dieser Bericht nicht in Druck kommen wird. Mit herzlichem Gruss und der Bitte unser und der Restgemeinde führbittend gedenken zu wollen. Ihr ergebener Sendbote F. Heinrichs